BIM - Anwendungsfälle
Wie werden sie in der Praxis umgesetzt?
Falls Sie sich jemals gefragt haben, ob das vorliegende BIM-Modell mehr ist als nur eine attraktive Visualisierung für den Kunden, lautet die Antwort: Ja, es kann viel mehr. BIM ist nicht nur eine moderne Methode zur Gebäudezeichnung, sondern eine Methodik, mit der für jede Projektphase nützliche Informationen extrahiert werden können. Je nachdem, wie man BIM nutzt, kann es Zeit, Geld und Ärger sparen. In diesem Artikel stellen wir die gängigsten BIM-Anwendungen vor, die im Alltag wirklich den Unterschied machen.
1. Bestandsmodellierung
Bei Sanierungsprojekten ist eine der häufigsten Anwendungen die Digitalisierung des aktuellen Zustands eines Gebäudes oder Grundstücks. Aus Punktwolken, die mithilfe von Laserscannern erzeugt werden, entsteht ein präzises Modell, das als verlässliche Planungsgrundlage dient. Auch wenn dieses Modell oft nur über ein niedriges Geometrielevel (LOG) verfügt, reicht es aus, um die Hauptgeometrie zu erfassen und die frühen Projektphasen zu koordinieren, besonders bei komplexen Eingriffen.
Zur Weiterverarbeitung der Punktwolken kommen dabei häufig spezialisierte Softwarelösungen zum Einsatz. Programme wie Autodesk ReCap oder Trimble RealWorks ermöglichen das Aufbereiten, Reinigen und Auswerten der Scandaten. Für die Modellierung selbst werden Tools wie Archicad, Revit oder Vectorworks verwendet, die den Import von Punktwolken unterstützen und auf deren Basis ein BIM-Modell erstellt werden kann. Auch Plattformen wie CloudCompare oder Faro Scene sind in der Praxis etabliert, wenn es um die Auswertung und Analyse der Punktwolke geht.
So wird aus einer unscheinbaren Punktewolke Schritt für Schritt ein digitales Abbild der Realität ,ideal für Planung, Abstimmung und Dokumentation.
2. Entwurfsmodellierung
In der Entwurfsphase (LP2-4) wird ein Modell entwickelt, das die Volumetrie, die räumliche Organisation und die Hauptelemente klar darstellt. Neben dem Volumen- und Raumkonzept wird hier oft das sogenannte Raumbuch erstellt – eine detaillierte Liste der Räume mit Angaben zu Name, Nutzung, Fläche, Oberflächen und weiteren relevanten Attributen. Das Raumbuch ist ein essenzielles Werkzeug für interne Koordination, Budgetvorbereitung und Kommunikation mit Kunden und anderen Beteiligten.
Dieses Modell ist noch kein Ausführungsmodell, verfügt jedoch meist über ein ausreichendes Geometrie- (LOG) und Informationslevel (LOI) – gemäß Vereinbarungen im BIM-Abwicklungsplan (BAP) – um vorläufige Pläne, Schnitte, Ansichten und Tabellen zu erstellen. Es dient auch als Basis für erste Kostenschätzungen und den Datenaustausch mit anderen Projektbeteiligten via IFC.
3. Koordinationsmodell
Das Koordinationsmodell ist eine der wichtigsten Anwendungen im BIM-Prozess und der Ort, an dem wirklich alle Fachplaner zusammenkommen. Jede Disziplin, ob Architektur, Tragwerksplanung oder TGA, arbeitet zunächst an ihrem eigenen Modell. Diese sogenannten Fachmodelle werden anschließend im offenen IFC-Format exportiert und zu einem gemeinsamen Gesamtmodell zusammengeführt.
In diesem föderierten Modell sieht man sofort, wo es hakt: Läuft ein Lüftungskanal durch einen Stahlträger? Schneidet eine Treppe eine Wand? Dank der Kollisionsprüfung (Clash Detection) lassen sich solche Probleme frühzeitig erkennen, also noch am Bildschirm statt später auf der Baustelle.
Damit das alles reibungslos läuft, gibt es meist eine:n BIM-Gesamtkoordinator: in, der oder die die Modelle zusammenführt, prüft und die Kommunikation zwischen den Gewerken unterstützt. Tools wie Solibri, BIMcollab Zoomoder Navisworks helfen dabei, Kollisionen zu finden, Regeln zu prüfen und Aufgaben klar zu verteilen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Koordination ist die Schlitz- und Durchbruchsplanung (SuD). Hierbei werden Öffnungen für Leitungen, Rohre oder Kabeltrassen frühzeitig abgestimmt, um spätere Nachträge und Kollisionen auf der Baustelle zu vermeiden. Eine gute SuD-Planung spart Zeit, Kosten und Nerven für alle Beteiligten.
Das Ergebnis: Weniger Überraschungen, mehr Planungsqualität und ein viel besseres Verständnis dafür, was die anderen eigentlich planen.
Das Koordinationsmodell bringt alle an einen Tisch – digital, effizient und transparent.
Für mehr Informationen zur Schlitz- und Durchbruchsplanung im BIM-Prozess.

4. Mengenermittlung (5D)
In Projekten mit festen Budgets ist die Mengenermittlung eine besonders praktische Anwendung. Aus dem Modell werden Flächen, Volumina und Längen automatisch extrahiert, um Mengenauszüge (Mengenlisten) zu erstellen – vor allem in den Leistungsphasen 5–7, wenn Ausschreibungen und Kostenschätzungen anstehen.
Oft werden diese Daten per IFC oder BCF direkt an Kostenkalkulationssoftware wie iTWO, California.pro, RIB AVA oder ORCA AVA übergeben. Auch hybride Workflows mit Tabellen oder Preis-Datenbanken sind verbreitet, ebenso wie die Nutzung von Presto bei internationalen oder spanischen Projektpartnern.
Der Vorteil: Änderungen im Modell führen zu schnellen und präzisen Updates des Budgets, da Mengen an Bauteile gebunden sind. Das spart Zeit, minimiert Fehler und erhöht die Nachvollziehbarkeit und Effizienz der Kostenkontrolle.
5. Visualisierung und Kommunikation
Visualisierungen dienen nicht nur ästhetischen oder Marketingzwecken, sondern sind ein zentrales Kommunikationsmittel im Planungsprozess. Klare, realitätsnahe Darstellungen helfen, Missverständnisse zu vermeiden, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und fundierte Entscheidungen von Bauherren, Investoren und Behörden zu ermöglichen.
Das ist besonders hilfreich, wenn die Gesprächspartner keine technischen Vorkenntnisse haben. Auch die Abstimmung mit anderen Projektbeteiligten in frühen Planungsphasen wird durch Visualisierungen erheblich erleichtert.
Je nach Zielsetzung kommen unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz:
Echtzeit-Visualisierung und interaktive Rundgänge:
Programme wie Twinmotion, Enscape ermöglichen es, direkt aus dem Architekturmodell heraus in Echtzeit zu navigieren.
Dank Plug-ins für Software wie Archicad oder Revit lassen sich Modelle live rendern, sodass Planer*innen direkt im Entwurfsprozess Änderungen visualisieren, Bilder und Videos exportieren, Objekte und Vegetation hinzufügen oder Lichtszenarien anpassen können.Modellfreigabe mit Kommentarfunktionen und Cloud-Zugriff:
Tools wie BIMx (Archicad), BIM Collaborate Pro (Revit), Bimsync, Dalux oder Solibri ermöglichen die einfache Weitergabe von Modellen samt Kommentar- und Markup-Funktionen – ideal für Rücksprachen und Freigaben im Team oder mit Auftraggeber*innen.Virtuelle Realität und immersive Präsentationen:
Mit Geräten wie Oculus Rift, HTC Vive oder in Kombination mit Unreal Engine können Modelle immersiv erlebbar gemacht werden, sei es für Wettbewerbspräsentationen oder Bürgerbeteiligungen.
Neben fotorealistischen Renderings erlaubt das BIM-Modell noch viel mehr: Schattenanalysen, Simulationen von Fußgängerstrom, Kontextdarstellungen mit realer Umgebung oder automatisierte Variantenvergleiche machen Planung anschaulicher, transparenter und partizipativer.
6. Simulation und Bauablaufplanung (4D)
Neben der klassischen Baufortschrittskontrolle gewinnt die 4D-Planung in der BIM-Projektsteuerung zunehmend an Bedeutung. Dabei wird das BIM-Modell mit dem zeitlichen Ablauf des Projekts verknüpft, um visuelle Bauablaufsimulationen zu erstellen. Tools wie Synchro ermöglichen es, den geplanten Baufortschritt über den gesamten Projektverlauf hinweg realitätsnah darzustellen.
Durch die 4D-Simulation lassen sich Bauprozesse besser koordinieren, Engpässe frühzeitig erkennen und Terminpläne optimieren. Das erleichtert nicht nur die Kommunikation mit allen Projektbeteiligten, sondern sorgt auch für mehr Transparenz und Planungssicherheit.
Gerade bei großen oder komplexen Bauvorhaben ist die 4D-Planung ein unverzichtbares Werkzeug für einen reibungslosen Ablauf.
7. Simulation und Analyse (6D)
Obwohl noch nicht so verbreitet wie andere Anwendungen, gewinnen energetische und tageslichttechnische Analysen zunehmend an Bedeutung, insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen und Nachhaltigkeitszertifikaten wie DGNB, LEED oder BREEAM. Solche Simulationen bewerten thermisches Verhalten, Energieverbrauch und natürliche Beleuchtung schon in frühen Entwurfsphasen, um Effizienz und Komfort zu steigern.
Typischerweise basieren diese Analysen auf IFC-Modellen, die in Spezialsoftware wie Rhino mit Grasshopper (inkl. Plugins Ladybug und Honeybee), EnergyPlus, DesignBuilder oder IES VE importiert werden. Neben energetischer Bilanz, thermischen Lasten, solaren Gewinnen und Lichtverteilung sind auch Standortanalysen (Sonneneinstrahlung, Klimabedingungen) essenziell für die optimale Ausrichtung und Einbindung ins Umfeld.
8.Nachhaltigkeitsmanagement und CO₂-Fußabdruck (6D)
Immer mehr BIM-Prozesse integrieren Werkzeuge zur Nachhaltigkeitsbewertung. Madaster ist eine Plattform, die den CO₂-Fußabdruck und den Materialgehalt eines Gebäudes über dessen Lebenszyklus erfasst und analysiert. Die Integration mit BIM-Modellen hilft, recycelbare Materialien zu identifizieren und die Umweltbelastung zu minimieren. Das ist entscheidend für grüne Zertifizierungen und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.
Inzwischen wird in vielen Projekten, und zunehmend auch schon in Wettbewerben oder frühen Planungsphasen, ein erster Nachhaltigkeitsnachweis verlangt. Deshalb lohnt es sich, bereits mit einem einfachen BIM-Modell die Grundlagen für die ökologische Bewertung zu legen.
Ein früher Einstieg in diesen BIM-Anwendungsfall schafft Transparenz, bringt Wettbewerbsvorteile und unterstützt langfristig eine nachhaltige Bauweise.
9. Baufortschrittskontrolle
Öffentliche Bauherren und Investoren verlangen zunehmend BIM-Modelle, die nicht nur für die Planung, sondern auch während der Bauausführung genutzt werden. Mit 4D werden Bauzeitpläne ans Modell gekoppelt, sodass der Fortschritt visualisiert und Soll-Ist-Vergleiche in Echtzeit möglich sind.
Obwohl 4D noch nicht überall Standard ist, gewinnt es bei Infrastrukturprojekten und komplexen Großvorhaben an Bedeutung. Plattformen wie Dalux erleichtern die Erfassung von Baufortschritten, Mängeln, Fotos und Notizen direkt auf der Baustelle und verknüpfen diese mit dem digitalen Modell. Das erhöht Transparenz und Kommunikation.
Apps wie BIMx ermöglichen das intuitive Navigieren im BIM-Modell auf mobilen Geräten, was schnelle, fundierte Entscheidungen sowohl im Büro als auch auf der Baustelle ermöglicht. Die vernetzte Kommunikation verbessert Koordination und minimiert kostspielige Fehler – damit trägt BIM auch während der Bauphase zur Qualitätssicherung bei.
10. As-Built-Modell
Nach Fertigstellung entsteht das As-Built- oder Betreibermodell, das den tatsächlichen Bauzustand exakt abbildet – inklusive aller Installationen, Materialien und technischen Systeme. Es dient der effizienten Betriebsführung, Wartung, Reparatur und späteren Umbauten, indem es schnellen und verlässlichen Zugriff auf alle relevanten Informationen ermöglicht. Das spart Kosten und Aufwand, gerade bei komplexen Gebäuden wie Krankenhäusern oder öffentlichen Einrichtungen.
11.Informationsübergabe für Betrieb und Wartung: Der COBie-Standard (7D)
Um sicherzustellen, dass die im As-Built-Modell enthaltenen Daten während der Gebäudenutzung nutzbar bleiben, kommt der COBie-Standard (Construction-Operations Building Information Exchange) zum Einsatz. COBie organisiert wichtige Informationen wie Raumbuch, Ausstattungen, Materialien, Lieferantenkontakte, Wartungspläne und Garantien in strukturierter Form. So lässt sich die Integration in Facility-Management-Systeme automatisieren, was Wartung, Kontrolle und Lebenszyklusmanagement vereinfacht.
Fazit
Die BIM-Anwendungen in Deutschland sind mittlerweile gut definiert und finden immer stärkere Berücksichtigung in öffentlichen und privaten Bauverträgen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der frühzeitigen Planung, der offenen Zusammenarbeit durch interoperable Formate wie IFC und der klaren Koordination aller Projektbeteiligten.
Wer die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von BIM früh erkennt und gezielt nutzt, schafft nicht nur mehr Transparenz und Effizienz, sondern legt auch den Grundstein für eine zukunftsfähige, nachhaltige und wirtschaftliche Planung und Realisierung von Bauprojekten.